Wie schmeckt das Mittelalter Teil 2
geschrieben als Gastbeitrag für
IN TERRA VERITAS
veröffentlicht am 23.06.2022
Historische Quellen und archäologische Funde geben Rückschlüsse über vergangene Epochen. Trifft die Theorie auf praktische Umsetzung – wie in der experimentellen Archäologie – ergeben sich zusätzliche Einblicke in die Lebenswelt der Menschen von damals. Dies gilt auch für das Kochen und den Geschmack des Mittelalters.
Kochen wie im Mittelalter – Wie geht das?
Eine moderne Küche eignet sich nicht zum mittelalterlichen Kochen. Grundsätzlich unterscheidet sich die Küchenausstattung nicht funktional, aber in Technik und Material erheblich. Um unter möglichst historischen Bedingungen den Geschmack des Mittelalters zu „erkochen“, braucht es Rekonstruktionen einer Küchenausstattung auf Basis von Funden, Bild- und Schriftquellen.
Kochen und Backen folgt gleichbleibenden Gesetzmäßigkeiten. Auch ohne Mengenangaben im Rezept sind die Verhältnisse der Zutaten zueinander und die entsprechenden Garzeiten immer gleich. Anders ausgedrückt: die Mengen der Zutaten und die Garzeiten sind proportional oder mit den Worten der Urgroßmütter: „Das sieht man dann schon!“ Dieser so wenig wissenschaftlich klingende Satz, beschreibt exakt die Handwerkserfahrung von Köchen.
In den Rezepten des Mittelalters werden verschiedene Garmethoden erwähnt, die es noch heute gibt und beim Nachkochen angewendet werden können. Der Umgang mit dem Kochfeuer braucht etwas Übung, ist dann aber problemlos und mit gleichbleibender hoher Qualität des fertigen Gerichts möglich.1, 2
Zwei Rezepte zum Nachkochen
Die folgenden Rezepte stammen aus dem Rheinfränkischen Kochbuch von 14453. Es enthält hauptsächlich Koch- und Backrezepte für die Fastenzeit. Es wird vermutet, dass die aufwändig gestaltete Handschrift im Auftrag eines Geistlichen der Oberschicht aus dem Raum Mainz erstellt wurde.4 Das Rheinfränkische Kochbuch ist kein eigenständiges Buch, sondern ein Abschnitt eines umfangreichen Werks mit weiteren Inhalten aus den Bereichen Astronomie, Astrologie und Medizin.
Jedes Gericht hat anhand des Originalrezepts eine Zutatenliste und eine Aufzählung der notwendigen Küchengeräte. Die hier vorgestellten Rezepte wurden in zeitgemäße Kochanweisungen und Arbeitsschritte „übersetzt“. Natürlich können die Gerichte auch in einer modernen Küche nachgekocht werden, auch wenn durch das Fehlen mittelalterlicher Utensilien und offener Feuerstelle der ursprüngliche Geschmack dadurch nicht ganz getroffen werden kann.
Fremdartiges Gebäck - heydnischer kuchen
Die Zutaten für das Gebäck sind: Mehl, Eier, Schmalz, Honig, Wein, Rosinen.
Es werden benötigt: Schüssel, Wellholz, Messer, Pfanne, Pfannenwender, Kessel und Kochlöffel.
Das Rezept beschreibt:
Einen Teig aus Mehl und Eiern kneten, mit dem Hinweis: so fest du ihn herstellen kannst. Es handelt sich um einen Teig, der kein zusätzliches Mehl mehr aufnimmt, ähnlich einem Nudelteig.
Aus Wein und Honig einen Sirup einreduzieren.
Den Teig ausrollen, in Streifen schneiden und in Schmalz ausbacken. Im Anschluss mit dem Sirup tränken und vor dem Servieren mit Rosinen bestreuen.
Lauchmus
Wiltu machen ein lauchmußz So nym wyßzen lauch vnd fnide den eins vinger lang vnd brat ine mit smalcze gar wol vnde gußz waßßer dar ande vnd laißz ißz erwallen vnde laege ißz in ein ßyep so get daz naßche herabe darnach so lege ißz in einen hauen vnde gußz milche dar ane die mit wyßzem brode dorch ein duch geczogen ßij vnd du schmalcze dar ane vnd ßude es ißz mit ßwinem fleißche
Aus dem Rezept lassen sich folgende Zutaten, benötigte Utensilien und Zubereitungstechnik erarbeiten:
Zutaten: Lauch, Schmalz, Wasser, Milch, Weißbrot, noch mehr Schmalz und Schweinefleisch
Es werden benötigt: Schneideutensilien, Pfanne, ein Sieb, ein Seituch, eine Schüssel und ein Tontopf.
Die Arbeitsanweisung ergibt: Den Lauch in fingerlange Stücke schneiden, in einer Pfanne anbraten und mit Wasser ablöschen. Den Lauch abtropfen lassen und in ein Tongefäß geben. Weißbrot und Milch durch ein Tuch passieren und damit den Lauch aufgießen. Schmalz hinzufügen. Gemeinsam mit Schweinefleisch aufkochen.
Die MilchBrotMasse funktioniert wie ein Soßenbinder. Durch das gewählte gesalzene Schweinefleisch benötigt das Rezept kein zusätzliches Salz.
Das aus Mangel an Alternativen verwendete Kassler, gabe es in dieser Form im Mittelalter nicht. Ich erwähne das noch mal ausdrücklich. Das Rezept selbst spricht nur von Schweinefleisch. Ob das dann Bauch, Bug oder Kamm, frisch, geräuchert oder gesalzen ist, bleibt der Köchin / dem Koch überlassen.
mehr zum Thema: "Man nehme was, man man habe" gibt es
hier !
Trotz aller Sorgfalt bei der Übersetzung der Rezepte, bei der Auswahl der Zutaten und der Zubereitung anhand der Kochanweisungen mit entsprechender Ausstattung, bleibt die fertige Mahlzeit eine mögliche Interpretation und wird sich vom mittelalterlichen Original unterscheiden.
Quellen und Literatur:
1) Vgl. Andreas Klumpp; Culina Historica — Archäologie und Kochbuchforschung in EXPERIMENTELLE ARCHÄOLOGIE IN EUROPA BILANZ 2015, S. 183 ff
2) Vgl. Andreas Klumpp; Culina Historica – Möglichkeiten und Grenzen zur Rekonstruktion einer historischen Geschmackswelt in: Der Koch ist der bessere Arzt, Mediävistik zwischen Forschung, Lehre und Öffentlichkeit, Winfried Hofmeister (Hrsg), 2014, S. 253 ff
3) Die Handschrift es Rheinfränkischen Kochbuchs befindet sich im Besitz der Staatsbibliothek Berlin und ist in der Digitalen Sammlung unter MS germ. Fol. 244 zu finden.
Link: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN785884734
4) Thomas Gloning: Text, Übersetzung, Anmerkungen und Glossar, Ludwig Auer, 1998
Ausstattung:
Repliken der nachgekochten Rezepte:
- Kochtöpfe nach Funden aus Frankfurt am Main,
- Schüsseln nach Funden aus Freiburg und Bad Windsheim
(alle hergestellt von Anna Axtmann)
Umsetzung und Fotos:
Claudia Zimmermann